Die Nacht hat sich endlos angefühlt, Igor und ich haben unruhig und nur wenig geschlafen. Was Igors Unruhe ausgelöst hat weiß ich nicht, er ist im Hof herumgegangen und hat sich nicht wie sonst hingelegt bzw. neben meinem Zelt gedöst. Ich fühle mich nicht gut in der Früh und bin selbst sehr nervös und fahrig. Wer seine Stimmung auf wen überträgt kann ich nicht genau sagen. Auf jeden Fall brechen Igor und ich sehr früh auf, wir haben beide keinen Appetit auf Frühstück. Vroni gibt mit ein Glas mit Kriecherl Marmelade mit als Jause für den Weg. Heute haben wir nur wenige Kilometer bis zu unserer nächsten Station in der Nähe von Klausen Leopoldsdorf. Wenige Meter nach Vronis Haus können wir schon die Autobahn hören und sehen. Den Knoten Steinhäusl kenne ich nur aus der Autofahrerinnen Perspektive, diesmal bin ich als Fußgängerin unterwegs.
Der Weg führt heute Großteiles durch den Wienerwald und trotzdem immer wieder der Autobahn entlang oder unten durch. Es ist irgendwie ein komisches Gefühl, gleichzeitig im Grünen zu sein und daneben den Lärm der Autos zu hören. Igor stört das kein bisschen. Immer wieder sucht er sich Fleckchen zum Grasen unmittelbar neben den vorbeizischenden Autos. Da wir viel Zeit haben und ich nicht zu früh bei meiner Gastgeberin ankommen möchte schlendern wir den Weg entlang. Nicht nur ich, sondern auch Igor wirkt müde. Wir gehen wieder einmal durch eine Unterführung unter der Autobahn durch, da meint Igor das es Zeit ist für ein Schläfchen. Ich habe schon lange aufgehört mich zu fragen nach welchen Kriterien Igor seine Pausenplätze aussucht. Idyllisch sind sie nicht gerade. Er nimmt gleich nach der Unterführung in Blickrichtung Autobahn seine Schlafstellung ein (Hinterbeine nahe zusammen, eines entlastet) und beginnt zu dösen. Na ja, wenn der Esel das so will… Gleich neben Igor steht ein Baumstumpf der halbwegs bequem aussieht. Ich setze mich zu meinem Eselchen, nehme mein Buch und lese während er friedlich, begleitet vom eintönigen Geräusch der Autos, schläft.
Irgendwann beschließt Igor das es an der Zeit ist weiterzugehen. Unser Weg führt weiter durch den Wald über frisch geschotterte Forststraßen. Leider sind die Schottersteine sehr spitz und kantig. Ich habe Igor heute seine Hufschuhe nicht angezogen weil ich mit weichem Waldboden gerechnet habe. Aber ein weiterer Vorteil das Igor frei läuft ist, das er sich seinen Weg selber suchen kann und so geht er immer ganz am Rand der Forststraße wo weniger oder gar keine Steine sind. Bereits zu Mittag sind wir an unserem Zielort angelangt. Elisabeth, meine Gastgeberin hat sich ebenfalls auf einen Facebook Aufruf von Andi gemeldet und sich bereit erklärt uns zu beherbergen. Im Vorfeld hat sie mir schon eine Nachricht geschrieben und gefragt was ich alles brauche da sie einkaufen geht und mir gerne etwas mitnehmen kann. Ich ordere meine üblichen Müsli Riegel, von denen ich nie genug haben kann. Sonst brauche ich eigentlich nichts weil ich von meinem GastgeberInnen in den letzten Wochen immer super verpflegt wurde.
Elisabeth wohnt direkt am Waldrand und hat vier alte Ponys die sie zu Hause im Privatstall hält. Außerdem noch zwei Bloodhounds, eine davon, Hermine, noch ganz jung. Die Ponys sind noch auf der Weide sodass Igor den Stall einmal komplett für sich hat. Es stört ihn nicht das keine Pferde in seiner Nähe sind, Hauptsache ich bin da und er kann mich sehen. Elisabeth macht uns einen leckeren Salat zum Mittagessen und wir setzen uns auf die Terrasse wo Igor uns sehen und hören kann. Sein Heu habe ich ihm auch so hingelegt das er quasi mit uns fressen kann. Als umsichtige Gastgeberin konnte ich mich bei Elisabeth natürlich auch Duschen und meine Wäsche waschen. Wanderinnen Service De Luxe, sozusagen. Elisabeth und mir gehen die Gesprächsthemen nicht aus. Wir sprechen über meine Wanderung und Erfahrungen, sie erzählt mir von ihrem Beruf als Tierpflegerin in einer chirurgischen Praxis und es ist sehr interessant ihr zuzuhören. Ein wunderbar friedlicher Ort an dem sie da wohnt und an dem Igor und ich uns sehr wohl fühlen.
Elisabeth hilft mir auch meine nächsten Stationen zu planen. Sie kennt einige kleiner Reitbetriebe die für mich als Übernachtungsplätze in Frage kommen und so habe ich rasch meine nächsten beiden Aufenthalte geplant und organisiert. Andi und ich haben ausgemacht das wir heute unseren Podcast aufnehmen, sofern es die Internet Verbindung erlaubt. Und auch in dieser Hinsicht ist alles wunderbar. Ich setzte mich zu Igor, rufe Andi an und wir zeichnen den Podcast auf. Dann werde ich mit einem fantastischen Abendessen verwöhnt. Es gibt einen gut gewürzten Eintopf mit Reis und ich schlage kräftig zu. Als Nachtquartier habe ich mir die gemütliche Terassencouch ausgesucht. Da bin ich gleich neben Igor, es ist superbequem und ich kann wieder im Freien schlafen.
Der heutige Tag zeigt mir wieder wunderbar auf wie schnell sich meine Stimmung ändern kann. War ich in der Früh noch niedergeschlagen und in trüber Stimmung, ging es mir während der Wanderung schon immer besser und am Nachmittag, als ich von Elisabeth so herzlich empfangen wurde so richtig supergut. Es ist genauso wie das Leben. Einmal gehts bergauf und dann wieder bergab. Es ist ein ständiges Wechselspiel und ich habe aufgehört nach dem "warum" zu fragen. Es ist einfach so, das Leben. Im Laufe der Wanderung, auch als das Wetter in den ersten Tagen so miserabel war, gab es nie einen Tag der durch und durch scheiße war. Immer wieder dazwischen gab es auch Highlights. Das Auf- und Ab der Gefühle ist bei meiner Wanderung sicher noch rascher aufeinanderfolgend als im normalen Leben aber grundsätzlich ist es dasselbe. Je besser ich lerne es einfach anzunehmen, durchzugehen und weiterzumachen, desto einfacher wird es.
Und so folgt nach der gestrigen fast schlaflosen Nacht und dem trüben vormittag ein wunderschöner und ereignisreichen Nachmittag und Abend. Ich bin ich so müde das ich nicht einmal mehr lesen mag und sofort einschlafe.
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