Wanderung Tag 57

Ich wache auf und vom Gewitter ist keine Spur mehr zu sehen. Es verspricht wieder ein heißer Tag zu werden und ein bisschen fürchte ich mich davor. Heute haben wir eine lange Strecke vor uns, nämlich nach Berndorf. Ein Großteil des Weges führt durch Berndorf durch entlang eines Flusses. Das macht mich immer etwas misstrauisch denn die Vergangenheit hat gezeigt das es dort oft Hindernisse gibt die mit einem Esel nur schwer zu bewältigen sind. Fahrradbrücken aus Metallgitter zum Beispiel. Tina und eine Reitschülerin kommen schon um 6.00 Uhr um die kühlen Morgenstunden auszunutzen. Ich möchte auch eher früh aufbrechen und trinke nur 2 schwarze Kaffee und mache Igor und mich fertig. Ich habe eine komische Unruhe im Bauch und muss wieder feststellen wie sehr ich mich jetzt schon auf Zuhause freue. Irgendwie habe ich das Gefühl, wenn dieser Tag überstanden ist dann ist es geschafft, dann kommen nur mehr leichte Etappen in der Gegend um Wiener Neustadt, wo ich mich auch gut auskenne. 

 

Und so gehen Igor und ich früh los. Ich merke das ich sehr ungeduldig mit ihm bin. Er möchte wie immer in aller Gemütlichkeit fressen, ich möchte den Tag hinter mich bringen. Ich weiß selbst nicht genau was mit mir los ist, kann meine Gefühle aber gerade auch nicht ändern. Ich fühle mich einfach komplett unrund und Igor bekommt das leider etwas zu spüren. Außerdem ist mir leicht flau im Magen. Ob doch das gefriergetrocknete Gemüse, das ich seit 2 Monaten in meinem Rucksack herumschleppe nicht mehr ganz sauber war? Möglich wäre das durchaus. Ich bereue die beiden starken Kaffee und gehe weiter. Ich sehe eine Bäuerin mit ihrem Hund in einem Garten die Pfirsiche pflückt. Sie spricht mich kurz an aber mir ist ausnahmsweise nicht nach plaudern und ich gehe bald weiter. Ca. 200 m nach ihrem Haus kommt ein Schranken mit dem Hinweis darauf das sich dahinter freilaufende Kühe befinden. Na super, denke ich mir. Jetzt bin ich soweit gekommen ohne das ich durch so ein Gebiet musste und jetzt auf die letzten Tage passiert das wovor ich mich am meisten gefürchtet habe: Mit Igor durch eine Herde freilaufender Rinder gehen. Die Tiere sind nämlich sehr neugierig und laufen uns auch an Zäunen entlang immer nach. Das macht Igor schon sehr nervös und ich habe mich immer gefragt was ich in dem Fall mache wenn kein Elektrozaun dazwischen ist. 

 

Da gehe ich nicht durch, beschließe ich und drehe um. Als ich die Bäuerin wieder sehe frage ich ob wirklich Rinder in dem Abschnitt sind. Sie bestätigt es mir und bietet mir an mitzugehen. Das finde ich super, dann kann sie die eventuell herannahemden Rinder ablenken und ich kann mit Igor weitergehen. Und so begleitet sie uns, samt dem Hund wieder zum Schranken. Igor spürt meine Nervosität und der Hund der hinter ihm herschleicht ist ihm auch suspekt. Er mag es nicht wenn hinter ihm jemand geht den er nicht genau sehen kann. Die Versuche der Bäuerin den Hund nach vorne zu locken bleiben vergeblich. 

 

Wir gehen durch das kleine Waldstück und sehen zum Glück keines der Rinder. Ich bedanke mich bei der Bäuerin für die Begleitung, passiere den Schranken und gehe weiter. Derzeit befinde ich mich auf einem Kreuzweg der bergab in den nächsten Ort führt. Mir geht es noch immer nicht gut, der Bauch tut mir weh und mir ist schwindlig. Es tut mir total leid denn die Strecke ist wunderschön. Als wir durch den Ort gehen, stehen überall Beschriftungen mit Wanderwegen. Offenbar befinde ich mich in einer beliebten Wandergegend. Wir gehen weiter über Wiesenwege und durch den Wald und mein Bauch wird nicht besser. Immer wieder mache ich Pausen um mich hinzusetzen. Dann lassen die Schmerzen ein bisschen nach aber viel besser wird es auch nicht. Igor ist total nett und bleibt wie immer an meiner Seite. Er merkt das mit mir irgendetwas nicht stimmt. Ich versuche Wasser zu trinken aber dann werden die Bauchschmerzen und der Schwindel noch stärker. Was auch nicht optimal ist an einem der heißesten Tage die wir bisher hatten. Aber ich muss weiter, es bleibt mir ja nichts anderes übrig. Wir lassen den Wald hinter uns und kommen schön langsam ins Tal um Berndorf. Hier geht es zunächst den Fluss entlang auf einem schönen Weg der aber immer schmaler wird. Schließlich wird der Weg zu einem Trampelpfad der gleich neben den Bahnschienen entlang führt und kaum mehr zu erkennen ist. Laut meiner App bin ich aber richtig. Die Sonne brennt herunter, es gibt keinen Schatten und ich zwinge mich weiter zu gehen. Immer wieder schaue ich auf meine App wie weit es noch bis zum Stall ist. Ich muss es schaffen denn was soll ich denn mit Igor machen wenn ich aufgebe. Ich telefoniere immer wieder mit Andi der sich große Sorgen um mich macht. Schließlich komme ich in Bernstein an und folge weiter dem Fluss und der Bahn. Einmal verpasse ich eine Abzweigung und wir müssen auch noch ein paar hundert Meter zurück. Igor ist ein Wahnsinn. Er läuft die ganze Zeit frei weil ich nicht mehr die Kraft habe ihn zu führen. Ich sage ihm immer wieder wie dankbar ich ihm bin. Als wir durch eine Wohnstraße laufen sehe ich auf einem Tennisplatz zwei Herrn die sich unterhalten. Ich bitte sie um Wasser für Igor und sie bringen einen Kübel. Ich knie daneben während er trinkt und möchte am liebsten sterben. Den Männern fällt nichts auf und wir gehen weiter. Dann kommt tatsächlich eine Brücke von der ich mir denke das Igor niemals mitgeht. Eine Metall-Holzkonstruktion die um einen Felsen herumführt dem Fluss entlang. Ich betrete die Brücke in der sicheren Annahme das Igor verweigert. Aber er zögert nicht und kommt mir nach. Ich bin sprachlos und unendlich dankbar. Jetzt umdrehen und einen anderen Weg suchen hätte ich nicht geschafft. Ein Radfahrer mit Kleinkind auf dem Kindersitz begleitet mich ein Stück und möchte mit mir plaudern. Ich sage ihm das es mir leid tut, aber es mir nicht gut geht und ich nicht sehr plauderfreudig bin. Da verabschiedet er sich und radelt weiter. Ich schleppe mich voran und muss immer wieder Pausen machen um mich hinzusetzen. Jetzt sind es nur noch 2 km und die schaffe ich auch noch, denke ich mir. Jetzt noch durch ein wenig befahrenes Wohngebiet, dann bin ich in Veitsau beim Stall und kann mir überlegen was ich mache sobald Igor versorgt ist. Igor läuft auch durch das Wohngebiet frei, ich kann mich auf ihn verlassen. Trotzdem muss ich mich wieder kurz an den Randstein setzen um zu verschnaufen. In dem Moment kommt ein Mann auf die Straße sieht Igor und mich und fragt ob es mir nicht gut geht. Er vermutet das Igor mich abgeworfen hat weil er so frei herumgeht. Bevor ich noch überlege kommt ein „Nein, es geht mir nicht gut“ aus meinem Mund. Aber ich kann wirklich nicht mehr. Der Mann ist bei der Freiwilligen Feuerwehr und besteht darauf einen Rettungswagen zu rufen. Ich bin verzweifelt. Was soll ich denn mit Igor machen, er steigt mit fremden Menschen sicher nicht in einen Häger ein. Igor steht die ganze Zeit brav neben mir und weicht mir nicht von der Seite. Ich gebe ihm die Nummer von Ulrike, der Stallbesitzerin in Veitsau bei der ich heute übernachten möchte. Der Mann ruft sie an, schildert ihr wo wir sind und sie setzt sich sofort ins Auto und fährt zu uns. In der Zwischenzeit hat er auch die Ambulanz angerufen die gleichzeitig mit Ulli eintrifft. Ich habe sofort Vertrauen zu Ulrike und sie sagt genau das richtige. „Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um Igor, steig jetzt in den Wagen es wird alles gut.“ Ich sehe ihr die jahrelange Pferdeerfahrung an und steige in den Wagen. Ich bin mir sicher es ist Nichts Gravierendes. Ich erzähle den beiden Rettungsleuten von dem verschmutzten Wasser, das ich als die Ursache meiner Bauchschmerzen annehme. Sie prüfen meine Werte die alle in Ordnung sind. Dann beratschlagen sie ob Ambulanz oder Arzt. Ich bitte sie mich zu einem Arzt zu bringen, das müsste reichen. Als wir in der Praxis sind drückt er auf meinem Bauch herum und findet das die Aorta ungewöhnlich stark pocht. Er rät mir doch in die Klinik zu fahren um ein Aneurysma, einen Riss im Blutgefäß, auszuschließen. „Lieber einmal zu viel als zu wenig“, sagt er und da muss ich ihm recht geben. Ich verständige Andi und als ich in der Klinik in Baden ankomme sehen wir uns dort seit zwei Monaten wieder. So haben wir uns unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Er war auch schon bei Igor der von Ulli in den Stall gebracht worden ist. Der hat seelenruhig Gras gefressen und es geht ihm gut. Somit bin ich beruhigt und wir verbringen den ganzen Nachmittag im Krankenhaus bis alle Untersuchungen abgeschlossen sind. Ich verweigere eine Schmerztablette weil ich ja spüren will wo und wie stark es weh tut wenn ich untersucht werde. Der Abschlussbefund ist vage. Es wurde nichts gefunnden, ein Aneurysma kann ausgeschlossen werden. Wahrscheinlich eine Entzündung. Die Ärztin sagt mir ich solle die Wanderung aber auf jeden Fall abbrechen und mich schonen.

 

Als wir die Klinik verlassen breche ich in Tränen aus. So habe ich mir das Ende der Wanderung nicht vorgestellt. In der Zwischenzeit habe ich auch die Schmerztablette genommen und als wir im Auto sind überlege ich was ich machen möchte. Igor am nächsten Tag mit dem Hänger abholen, wäre die naheliegendste Lösung und alles in mir sträubt sich dagegen. Ich gehe alle Optionen durch, bis ich auf eine komme die sich gut anfühlt. Dank der Tablette habe ich aktuell auch keine Schmerzen, deshalb fühlt sich das noch viel besser an. „Andi, ich weiß was ich machen will.“ Andi grinst mich an und sagt, „Das weiss ich auch. Du machst einen Pausetag bei Igor und dann gehst du weiter.“ „Genau“ sage ich „ nur ohne den Pausetag. Wir schauen mal wie es mir morgen geht, wenn ich keine Schmerzen mehr habe dann bringst mich nach Berndorf und ich setze meine Wanderung einfach fort.“ Der Beschluss ist gefasst und es geht mir gleich besser. Ich rufe Ulli an, frage ob Igor über Nacht bleiben kann, was für sie natürlich kein Problem ist, und erläutere ihr meinen Plan. Dann kommen wir zu Hause an und es fühlt sich für mich so an als wäre ich zu Gast. Ganz komisch, es ist kein nach Hause kommen wie ich es mir vorgestellt habe. Ich mag auch gar nicht zu den Tieren gehen es ist alles nicht so wie ich es wollte. Um meinen Magen zu testen essen Andi und ich eine große Portion Spaghetti. Keine negativen Folgen, keine Bauchschmerzen, kein Schwindel. Wir gehen früh schlafen und auch das vertraute Bett fühlt sich an wie ein Gästebett. Aber ich bin zuversichtlich das es mir auch morgen gut gehen wird und ich weitergehen kann. 

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