Ich habe gut geschlafen und freue mich schon sehr auf den heutigen Tag. Alles fühlt sich richtig an, mein Bauch tut nicht weh und mir geht es gut. Ich beschließe aber auf Kaffee zu verzichten, wer weiß was der mit meinem empfindlichen Mangen anrichtet. Deshalb genieße ich die Marmeladebrote die ich zum Frühstück bekomme und warte auf die Reporterin der NÖN. Schon vor einigen Wochen hat mir Andi eine mail weitergeleitet in der Frau Steinböck wegen eines Interviews anfragte wenn ich im Raum Wiener Neustadt bin. Der Stall in Dreistätten erschien mir als ideale Möglichkeit und auch Claudia, die Stallbesitzerin war einverstanden mit dem Besuch der NÖN. Und so plauderte ich mit Frau Steinböck über die Reise, sie bewunderte ausgiebig Igor und machte ein paar Fotos von uns. Während des Gesprächs saß ich mit ihr im Stüberl, Igor wartete ungeduldig auf seiner Koppel.
Immer wieder hörte ich ihn rufen und dann wars soweit. Begleitet von einigen Einstellerinnen gingen wir zum Tor des Reitstalls. Igor stupste mich immer wieder ungeduldig in den Rücken, er wollte endlich weiter ziehen. Eine Einstellerin, die Igor zuvor einen „armen Esel der wandern muss“ genannt hat war sichtlich erstaunt und revidierte ohne mein Zutun schnell ihre Meinung. „Der will ja wirklich gehen“ sagte sie schmunzelnd. Ja, Igor hat richtig Freude an unserer Wanderung, sonst wären wir nie so weit gekommen. Wenn ein Esel nicht will dann will er nicht und es wäre extrem mühsam gewesen ihn 700 km hinter mir her zu schleppen. Igors und mein Verhältnis basiert auf Freundschaft und Kameradschaft. Was mir heute, als ich den Stall verlasse zum ersten Mal so richtig klar wird ist, das es für einen Esel ganz natürlich ist zu wandern. In der Natur wandern die Eseln ja auch von Futterstelle zu Futterstelle. Schon die ganz jungen Eseln laufen mit ihren Müttern von Beginn an weite Strecken auf der Suche nach dem besten Futter. Und heute wird mir so richtig klar das Igor unsere Wanderung genau so wahrnimmt. Ich als sein Buddy gehe meist voraus auf der Suche nach den besten Stellen und er folgt mir. Eseln haben auch in der Natur dieses Freundschaftssystem. Meist schließen zwei Eseln, oft ein gleichgeschlechtlicher Senior und ein Junior, tiefe Freundschaften. Igor hat, obwohl er mehrere Eselkumpels zu Hause hat, mit mir diese Freundschaft geschlossen was ich als große Ehre empfinde. Das ist auch der Grund warum unsere Reise zu Zweit, ohne seine Herde so gut funktioniert.
Und so wandern wir nach Weikersdorf wo wir bei Romy Station machen, die ich schon auf dem Hinweg kennen gelernt habe. Damals wollte ich in einem der großen Reitställe in Weikersdorf übernachten die jedoch keinen Platz für mich hatten. Als ich schon, recht verzweifelt, Igor in Weikersdorf an einem Brunnen trinken lies hat mich eine Frau, die aus dem Fenster sah, aus dem Fernsehen erkannt. Sie kam zu mir und über ihre Kontakte bekam ich dann gleich zwei Übernachtungsangebot im Ort bei privaten Pferdebesitzern. Eines davon war der Stall von Romy. Sie hat drei Pferde im Hinterhof des ehemaligen Bauernhofes ihres Vaters und dort gibt’s eine große Wiese wo Igor und ich übernachten konnten. Wir haben uns damals so wohl gefühlt das ich Romy kurzerhand anschrieb als klar war das ich wieder in Weikersdorf vorbeikommen würde. Sie sagte zu und es ist total schön einen Teil der Streck schon zu kennen und an einen Ort zurückzukehren an dem man schon einmal willkommen war und von dem ich weiß das Igor sich wohl fühlt.
Der Weg ist wunderschön, oft haben wir einen tollen Blick auf die Hohe Wand und die umliegenden Berge. Igor und ich fühlen sich großartig, es gibt viele saftige Wiesen, die Sonne scheint und wir haben jede Menge Zeit. Ab dem Ort Muthmannsdorf gehen wir genau dieselbe Strecke die wir schon vor 55 Tagen gewandert sind. Meine Gedanken wandern immer wieder zurück und ich versuche mich an die Gefühle zu erinnern die ich damals hatte, am 4. Tag der Wanderung und noch alles vor uns. Ich drehe mich immer wieder zu Igor um und freu mich an seinem Anblick. Innerlich bedanke ich mich immer wieder bei ihm dafür das er diese Reise möglich gemacht hat. Ohne ihn hätte ich das niemals gemacht. Wäre auch vieles einfacher gewesen wenn ich alleine gegangen wäre, es hätte nicht gepasst ohne meinen großen Freund. Wir gehen durch den Wald und Igor übernimmt die Führung. Es ist unglaublich wie er den Weg nach 2 Monaten noch genau kennt und sich erinnert. Auf der Strecke gibt es unzählige Wanderwege die sich immer wieder überschneiden und kreuzen, Igor findet auf Anhieb bei jeder Abzweigung den richtigen Weg und geht selbstbewusst voran. Ich muss immer wieder auf mein Navi schauen ob er auch richtig abbiegt aber ich kann mich auf Igor verlassen. Er kennt den Weg. Immer wieder begegnen uns Wanderer die den Blick nicht von dem schönen Tier wenden können das da mühelos und frei durch den Wald wandert. Ich bin schon stolz darauf das er zu mir gehört. Ich bin auch wieder dankbar für den Zwischenfall mit dem Krankenhaus denn ich merke wie sehr ich alles genieße, viel mehr als wäre das nicht passiert. Ich bin wieder mehr im hier und jetzt, so wie es sein soll.
Wir kommen in Weikersdorf an und gehen durch den hinteren Eingang zu unserem Quartier. Die Pferde kommen aufgeregt herangaloppiert und die begrüßen Igor. Ich denke schon das sie sich an den großen Esel erinnern und bei Igor habe ich überhaupt keine Zweifel daran das er seine Pferdekumpels wieder erkennt.
Die Tür zur Scheune steht offen und Igor geht schnurstracks hinein und beginnt am Heuballen zu knabbern. Er fühlt sich sofort wieder zuhause und mir geht es genauso. Ich baue mein Zelt auf und warte auf Romy die noch unterwegs ist. Bald treffen sie, ihr Vater und ihre beiden Mitreiterinnen ein. Sie hat mir auch einen Jause eingekauft auf die ich mich hungrig stürze. Wir verbringen den Nachmittag mit schönen Gesprächen, Romy erzählt mir von ihren Ausbildungen in Richtung Tierkommunikation und ihr Vater unterhält uns mit Geschichten von Früher. Igor mag es wenn viele Menschen um ihn herum sind und genießt unsere Gesellschaft. Immer wieder kommt er in unseren Kreis, lässt sich kraulen und mit Karotten füttern und geht dann wieder um ein paar Meter neben uns an seinem Heu zu knabbern. Am Abend, als ich mich in mein Zelt lege, legt Igor sich davor und ich bin wieder seelig. Es ist so ein schöner Anblick wenn dieser riesige schöne Esel vor dem Zelt liegt wie ein großes Plüschtier und unbekümmert schläft. Morgen geht’s weiter und bald sind wir zu Hause.
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